Schonen und vermeiden – und die gute Absicht

Ich tu etwas, was ich (eigentlich) gar nicht tun will.
Ich tu etwas nicht, was ich (eigentlich) tun will.
Ich sage Dinge, die ich (eigentlich) gar nicht meine.
Ich sage Dinge nicht, die ich (eigentlich) sagen will oder sogar sollte.


Kennen Sie das? Ich glaube, das kennt fast jeder Mensch. Ist das schlimm? Manchmal ja, wenn wir darunter leiden, wenn wir nicht mehr daraus kommen, wenn wir das ändern wollen.

Die Frage ist, welche (für uns gute) Absicht steckt hinter unserem Verhalten?

Wieso gute Absicht? Nun, wir tun alle immer alles aus einem (für uns) guten Grund oder mit einer (für uns) guten Absicht. Wir wollen uns vielleicht vor etwas schützen. Wie wollen vielleicht eine Situation oder Reaktion nicht erleben, da sie in uns Gefühle auslösen, die uns unangenehm sind. Und das wollen wir dann gern vermeiden. Und das ist doch ein guter Grund, oder?

Das heißt, wir wollen etwas erreichen oder wir wollen etwas verhindern oder vermeiden.

Schauen wir uns das an Beispielen an.

  • Ich tu etwas, was ich (eigentlich) gar nicht tun will.

Jemand fragt mich zum wiederholten Male, ob ich mit Geld aushelfen könnte. Und dann tu ich das vielleicht wieder, obwohl ich es wirklich nicht mehr tun will und ich mir schon oft geschworen habe: Nie mehr!
Welche gute Absicht könnte sich hier verbergen? Warum mache ich das immer wieder?

  • weil ich nicht nein sagen kann, es vielleicht nie richtig gelernt habe
  • weil es früher nicht erwünscht war?
  • weil ich die andere Person nicht enttäuschen möchte?
  • weil ich die andere Person nicht verlieren möchte?
  • weil ich signalisieren will, dass ich für die andere Person da bin (egal, was ich eigentlich will)?

Könnte alles sein, oder?

  • Ich tu etwas nicht, was ich (eigentlich) tun will.

Ich ziehe mich nicht zurück, obwohl ich allein sein möchte. Ich gehe nicht allein aus, besuche keinen Kurs, gehe einem Hobby nicht nach.

Welche (für mich) gute Absicht könnte man hier erkennen?

  • Ich nehme mich selber nicht so wichtig, weil ich mich nicht so wichtig finde?
  • Ich könnte für meine Wünsche und Bedürfnisse ausgelacht, belächelt, abgewertet werden?
  • Ich fürchte, die/den andere/n zu verlieren?
  • Ich traue mich einfach nicht, weil ich Reaktionen erwarte, die ich vermeiden will?

Könnte alles sein, oder?

  • Ich sage Dinge, die ich (eigentlich) gar nicht meine.

Wenn ich gefragt werde, wie es mir geht … und ich sage: „Mir geht es gut!“ – obwohl das nicht wirklich stimmt. Warum also sage ich das?

  • Weil ich glaube, dann schwach zu erscheinen?
  • Weil man dann über mich urteilen könnte („Die immer mit ihren Problemen!“)?
  • Weil man die andere Person schonen möchte, denn sie soll sich keine Sorgen machen?
  • Weil ich mich nicht zumuten, niemanden belästigen will?

Kann alles sein, oder?

  • Ich sage Dinge nicht, die ich (eigentlich) sagen will oder sogar sollte.

Wenn ich verletzt werde, jemand mich heruntermacht, mit etwas vorwirft und ich sage vielleicht – nichts oder protestiere nur schwach oder leise. Was könnte hier meine gute Absicht sein?

  • Ich will keinen Streit vom Zaun brechen?
  • Ich sage nichts, weil ich sowieso verlieren werde?
  • Ich denke, das geht vorbei, weil es immer wieder vorbeigegangen ist?
  • Ich denke, das hat er/sie bestimmt nicht so gemeint?
  • Ich denke, er/sie hat einen schlechten Tag, nur eine schlechte Stimmung?

Könnte alles sein, oder?

Könnte es sein, dass wir u.U. die mögliche Reaktion von anderen in Gedanken (aus der Erfahrung heraus) vorwegnehmen – ohne jedoch wissen zu können, ob sie wirklich eintreten wird? Wir glauben es, wir befürchten es, wir haben es erlebt. Damit vermeiden wir nun, die Reaktion wirklich erleben zu müssen, denn dies könnte zu Gefühlen wie Traurigkeit, Ärger o.ä. führen – und das wollen wir nicht, denn das tut weh.

Und so nehmen wir uns zurück, halten wir uns zurück, trauen wir uns vielleicht nicht. Und gehen damit vielleicht nicht wirklich gut mit uns selber um. Woran merken wir das? Wir sind genervt, erzählen anderen immer wieder was wir einfach nicht können, beschweren uns über die anderen, beschwichtigen uns selber, lassen uns beschwichtigen.

Und, wie gesagt, haben wir gute Gründe. Schauen wir uns diese nochmal genauer an. Wir sehen im einzelnen:

  • Ich kann nicht nein sagen (keine Grenzen setzen).
  • Ich will nicht verlassen werden.
  • Ich will keinen Konflikt heraufbeschwören.
  • Ich sage: „Das ist doch gar nicht so schlimm. Das geht doch vorbei.“ (ich bagatellisiere)

Damit vermeiden wir, dass unangenehme oder unsichere Situationen eintreten. Und das muss ja nicht verkehrt sein. Als Maßstab könnte uns das Gefühl dienen, das wir dabei haben. Geht es uns gut dabei? Oder geht es uns immer wieder schlecht geht damit, wenn wir dem/der anderen zuliebe etwas tun oder lassen? Tun wir uns selber immer wieder weh, schonen wir eventuell die andere Person?

Vielleicht können folgende Fragen hilfreich sein: Für wen bin ich da? Für wen tu ich das (nicht)? Wen vernachlässige ich dabei? Wem nehme ich vielleicht sogar die Verantwortung ab?

Byron Katie (The Work) sagt: „Wenn du mit deinen Gedanken bei der anderen Person bist, wer ist dann bei dir?“

Haben Sie das auch schonmal erlebt, sich allein oder unwohl zu fühlen, wenn Sie gegen die eigenen Bedürfnisse und Wünsche handeln und sprechen und sich mehr auf andere ausrichten als auf sich selbst?

Was können wir tun? Müssen wir da was tun? Was denken Sie? Das entscheidet jeder Mensch natürlich für sich selbst.

Ich habe für mich entdeckt, dass oft schon erleichternd sein kann, wenn ich mir – immer wieder – bewusst mache, wie ich ticke, was ich wann und unter welchen Umständen tu oder eben lasse. Und manchmal kann ich auch die gute Absicht dahinter aufspüren. Dann kann es einen Aha-Effekt geben: „Ah, so bin ich dann, das tu ich dann (nicht). Und das denke ich dann. Das ist ja interessant!“ Vielleicht mögen Sie neugierig(er) auf sich selber werden?

Kann ich vielleicht damit bestimmte Glaubenssätze aufdecken? Wie z.B.: „Ich muss dem/der anderen gefallen.“ „Ich bin nicht gut genug.“ „Ich werde verlassen, wenn …“

Möglicherweise kann ich mich fragen: „Will ich so sein? Soll das so bleiben? Wie geht es mir wirklich damit?“ „Möchte ich mehr für mich einstehen?“ Es gehört Mut und Ehrlichkeit dazu, sich diesen Fragen zuzuwenden.

Ich kann mich auch fragen, ob das wirklich wahr ist, was ich denke, was ich befürchte. Mich fragen, ob das wirklich so eintreten wird. Und wenn ja, was wäre dann? Wie könnte ich damit umgehen? Wie könnte ich mich vorbereiten?

Es ist ein Prozess, sich immer bewusst zu machen, was ich da gerade tu. Sich zu fragen, ob das so bleiben soll. Kann ich mich vielleicht mit anderen austauschen? So vielen Menschen geht es doch ähnlich. Gemeinsam auf den Weg gehen, etwas ändern? Und die gemachten Erfahrungen austauschen, ob nun Erfolg oder Misserfolg, sich gegenseitig stärken.

Fassen wir nochmal zusammen:

Durch frühe Prägungen entstehen Glaubenssätze und Befürchtungen, die wiederum zu automatischen Reaktionen führen. Eigentlich ist das eine schlaue Reaktion, die wir irgendwann einmal gelernt haben. Und so eine Reaktion, die vielleicht schon früh und damit tief geprägt sein kann, bleibt uns ein Leben lang erhalten, wenn deren Sinnhaftigkeit für das jetzige Leben nicht in Frage gestellt wird. Vielleicht mögen Sie diese Fragen stellen.

Viel Freude und Erfolg beim Ausprobieren und Erforschen!

Gern kann man mit mir auch darüber diskutieren oder die Meinung mitteilen. Ich freue mich, wenn die Kommentarfunktion genutzt wird.

Eine kostenlose Coaching-Stunde zu diesem Thema (oder irgendeinem anderen) biete ich, wie immer, gern an. 😊

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